COVID-19: Impfstoffversand aus Moskau, London und Warschau

Von Sputnik-V-Anreizen in Russland bis hin zu Brexit-Prahlerei in Großbritannien Großbritannien, Covid-19-Impfung bringt hervor unverwechselbar national Politik. 

Der russische Präsident Wladimir Putin (Mitte) besucht im März 2020 ein Coronavirus-Überwachungszentrum. (Kremlin.ru, CC BY 4.0, Wikimedia Commons)

Internationale Politik und Gesellschaft

(Lesen Sie diesen Artikel in Deutsch und Russisch.)

RUSSLAND
By Peer Teschendorf

RRussland hat einen eigenen Impfstoff entwickelt, der günstiger ist als die derzeit auf dem Markt erhältlichen. Außerdem ist es einfacher zu handhaben, da es weniger Kühlung erfordert und eine Impfwirksamkeit von 91.4 Prozent bietet.

Diese Behauptungen sind glaubwürdig, weil Russland über die technischen Fähigkeiten, das Fachwissen und die Erfahrung in der Impfstoffentwicklung verfügt. Der Nachteil ist, dass man einfach daran glauben muss, denn es gibt keine Möglichkeit, es zu wissen. Und gerade deshalb wird es vielleicht doch keine Erfolgsgeschichte.

Die vorzeitige Zulassung des Sputnik-V-Impfstoffs aus Prestigegründen, die noch nicht abgeschlossene dritte Testphase und die bisher fehlende Offenlegung der Ergebnisse sorgen für Skepsis – international, aber auch in Russland selbst. Damit steigt das Risiko, dass ein vermeintlich guter Impfstoff nicht das nötige Vertrauen erhält, um in Russland und weltweit erfolgreich eingesetzt zu werden.

Bisher bestehen Lieferverträge mit mehr als 10 Ländern über 1.2 Milliarden Dosen. Allerdings hat Russland seit der Genehmigung im August nur 1.5 Millionen produziert. Die Kapazitäten reichen derzeit bei weitem nicht aus, um Lieferverpflichtungen zeitnah nachzukommen.

Neue Fertigungskomplexe wurden in kurzer Zeit fertiggestellt und sollen ab Februar eine massive Produktionssteigerung ermöglichen. Darüber hinaus wurden Verträge zur Herstellung des Impfstoffs mit Indien, Brasilien, China und Südkorea abgeschlossen. Es gibt auch Bestrebungen, mit Frankreich und Deutschland zusammenzuarbeiten.

Es wäre in der Tat eine gute Gelegenheit, nach all den jüngsten Konflikten wieder eine konkrete Zusammenarbeit aufzunehmen, die sowohl für die bilateralen Beziehungen als auch für den Rest der Welt von Vorteil wäre. Das heißt, sobald der Impfstoff in der EU zugelassen ist.

Das mangelnde Vertrauen in die heimische Produktion macht sich jedoch auch in der russischen Bevölkerung bemerkbar. Mit einer Million geimpfter Menschen und einer Impfquote von rund 1 Prozent steht das Land nicht schlecht da.

Geimpft wurden jedoch vor allem medizinisches Personal, Lehrer und Beamte. In der Gesamtbevölkerung ist die Impfbereitschaft eher gering. Laut einer Umfrage des Levada-Instituts wollen 58 Prozent der Bevölkerung vorerst auf die Impfung verzichten.

Die meisten Befragten gaben als Grund für ihre Zurückhaltung an, dass sie abwarten wollten, welche Nebenwirkungen der Impfstoff haben würde.

„Sputnik V“-Impfstoff. (Mos.ru, CC BY 4.0, Wikimedia Commons)

Ein weiterer wahrscheinlicher Grund ist die Informationspolitik zur Pandemie. Beamte haben immer betont, dass Russland die Pandemie viel besser überstehen würde als andere Länder. Niedrige offizielle Sterberaten (die massiv unter den Zahlen der Übersterblichkeit liegen) und die sehr vorsichtigen Schutzmaßnahmen mit nur geringen Eingriffen in den Alltag führen zu einem gewissen Grad an Sorglosigkeit.

Ein großer Teil der Bevölkerung denkt: „Warum impfen, warum ein Risiko eingehen, wenn es gar nicht so schlimm ist?“

Der Staat beginnt nun, gegenzusteuern. Es soll ein Impfnachweis ausgestellt werden, wobei noch unklar ist, welche Vorteile sich daraus ergeben. In Moskau kann man jedoch bereits vermuten.

Personengruppen, denen zu Beginn der zweiten Welle der kostenfreie Zugang zum öffentlichen Nahverkehr verwehrt blieb, können diesen wieder nutzen – sofern sie über einen Impfnachweis verfügen. Weitere Anreize werden folgen, um bis zum Jahresende die angestrebte Impfquote von 70–80 Prozent zu erreichen. Bis dahin werden wir sicher wissen, wie gut der Impfstoff wirklich war.

Peer Teschendorf ist seit 2018 Leiter der Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in der Russischen Föderation. Von 2012 bis Mai 2016 leitete er die Büros der Stiftung in Kasachstan und Usbekistan.

Brexit-Befürworter, Dezember 2018. (Mark Ramsay/Flickr)

GROSSBRITANNIEN
By Christos Katsioulis

WWas die Impfung betrifft, ist Großbritannien führend. Der Biontech-Impfstoff wurde Anfang Dezember veröffentlicht und der von AstraZeneca und der Universität Oxford entwickelte Impfstoff Anfang Januar verfügbar gemacht.

Um Risikogruppen so schnell wie möglich zu immunisieren, läuft eine zentrale Impfkampagne, bei der bereits erhebliche Fortschritte erzielt wurden. Bis zur ersten Januarwoche wurden über eine Million Briten geimpft.

Derzeit wird darüber nachgedacht, die Zweitimpfung zu verschieben, um eine höhere Zahl an Erstimpfungen zu erreichen. Bis Mitte Februar sollen rund 14 Millionen Menschen aus Hochrisikogruppen ihre erste Spritze erhalten und somit geschützt sein.

Dies ist dringend erforderlich, da das Vereinigte Königreich leider auch bei Infektionsraten, Krankenhauspatienten und Todesfällen führend ist.

Dennoch stellt der frühe Beginn der Impfung für die Regierung des pathologisch optimistischen Boris Johnson eine Chance dar, die man sich nicht entgehen lassen sollte. „Das ist kein Rennen, aber ich sage nur, dass wir im Vereinigten Königreich mehr Menschen geimpft haben als in ganz Europa zusammen.“

Die Wortwahl des Premierministers vom 3. Januar wird seitdem von vielen Tories verwendet und verdeutlicht schön die Schnittstelle zwischen Brexit und der Covid-Krise.

Bildungsminister Gavin Williamson drückte hier deutlich gröbere Worte aus, als er die frühe Zustimmung darauf zurückführte, dass sie einfach bessere Menschen als Frankreich, Belgien und die USA hätten und einfach ein besseres Land seien.

Freiwilliger erhält CoronaVac-Injektion während der Phase-III-Studie von Sinovac in Indonesien. (Rio Tuasikal (VOA), Wikimedia Commons)

In Wirklichkeit ist die Situation etwas nuancierter. Die britische Entscheidung basierte auf europäischem Recht und machte nur von der Möglichkeit einer Notfallgenehmigung Gebrauch. Dies geht zwar schneller, birgt jedoch Haftungsrisiken für den Genehmigungsstaat – eine Tatsache, die in der britischen Presse selten erwähnt wird.

Impfskeptiker nutzen es für ihre Zwecke und versuchen, die aktuelle Situation zu ihren Gunsten auszunutzen. Sie profitieren davon, dass Impfgegner im Vereinigten Königreich rund 5 Millionen Follower in den sozialen Medien haben und auf einen langjährigen harten Kern von Impfskeptikern zählen können. Ein prominenter Name in diesen Kreisen ist übrigens Corbyn, auch wenn es nur Piers Corbyn ist, der peinliche Bruder des ehemaligen Labour-Chefs Jeremy Corbyn.

Gleichzeitig wachsen die Zweifel, ob die Regierung, die sich in der Covid-Krise bisher nicht gerade hervorgetan hat, die logistische Mammutaufgabe der Massenimpfung bewältigen kann.

Mit der aktuellen dritten Welle und der Mutation des Virus ist das NHS-Gesundheitssystem überlastet, das Personal ist durch die ständige Arbeitsbelastung seit März überlastet und die Regierung plant immer noch, die Gehälter einzufrieren. Johnson droht ein weiterer Fall seiner „übermäßigen Versprechungen“.

Das dürfte ihn noch mehr unter Druck setzen. Auch wenn es sich nicht um ein Rennen handelt, dürften Fragen zu seiner politischen Zukunft aufkommen, wenn Johnson bis zum Frühjahr immer noch nicht an Boden gewonnen hat.

Christos Katsioulis leitet derzeit das Londoner Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). Zuvor war er Leiter der FES-Büros in Brüssel und Athen und arbeitete als Experte für Außen- und Sicherheitsfragen in der FES-Zentrale in Berlin. Er studierte Politikwissenschaft und Geschichte in Trier und Thessaloniki.

Warschauer Panorama. (Lemarx, CC BY-SA 3.0, Wikimedia Commons)

POLEN
By Ernst Hillebrand

VAuch in Polen wurde mit der Impfung gegen das Coronavirus begonnen. Die Oberschwester eines Warschauer Krankenhauses erhielt am 27. Dezember die erste Impfung. Dies steht im Einklang mit der Impfstrategie der polnischen Regierung, wobei medizinisches Personal in der Prioritätsgruppe Null liegt.

Bis Ende Januar sollen rund 900,000 Menschen geimpft werden, 500,000 von ihnen haben sich bisher für die Impfung registriert.

Allerdings verlief der Start des Impfprogramms nicht ohne Probleme. In den Medien wird berichtet, dass es in Krankenhäusern zu Komplikationen bei der wirksamen Verimpfung der abgegebenen Dosen des empfindlichen Pfizer/Biontech-Impfstoffs kam. Einige Krankenhäuser hatten zunächst mehr Impfstoff erhalten, als sie verwenden oder lagern konnten.

Dennoch steht Polen im europäischen Vergleich nicht schlecht da. Mit 0.37 Geimpften pro 100,000 Einwohnern (Stand: 6. Januar) liegt das Land statistisch gesehen im europäischen Durchschnitt. Nur zwei deutlich größere Länder, Deutschland und Italien, haben mehr Impfungen durchgeführt als Polen.

Der eigentliche Test des Impfsystems wird Ende Januar kommen, denn dann sollen die Massenimpfungen beginnen. Die „Gruppe 1“, bestehend aus Senioren, Bewohnern von Pflege- und Seniorenheimen, „uniformierten Diensten“ (Polizei, Feuerwehr, Bundeswehr etc.) und Lehrern, umfasst etwa 10 Millionen Menschen.

Sie können sich an rund 6,000 Impfstellen impfen lassen. Ab dem 15. Januar sollten sich Menschen online für diese Impfungen registrieren können. Das Alter soll ein zentrales Kriterium für die Priorisierung sein, da die über 75-Jährigen als erste geimpft werden.

Ein Mangel an Impfstoffen ist in Polen noch kein Thema. Das Land wird über das gemeinsame Einkaufsprogramm der EU beliefert und derzeit treffen jede Woche rund 300,000 Dosen ein.

Wenn der Moderna-Impfstoff geliefert wird, könnten 400,000 Dosen dieses Impfstoffs pro Woche hinzugefügt werden. Wenn die 6,000 Impfstellen wie geplant funktionieren, könnte das Land sogar schätzungsweise 4 Millionen Impfungen pro Monat bereitstellen – weit mehr als die Anzahl der Impfdosen, die aus dem EU-Kaufprogramm verfügbar sein werden.

Moderna-Impfstoffbox vollgepackt mit Isolierung und Kühlakkus. (US Air National Guard, Edward Snyder, Wikimedia Commons)

Demnach führt die Warschauer Regierung seit Weihnachten Gespräche mit Pfizer/Biontech über weitere nationale Einkäufe. Der Vorschlag, eine zweite, nationale Beschaffungslinie zu eröffnen, soll nicht zuletzt aufgrund entsprechender deutscher Bemühungen entstanden sein. Die Ergebnisse dieser Verhandlungen sollen nächste Woche bekannt gegeben werden.

In der öffentlichen Wahrnehmung wurde der Start der Impfkampagne jedoch von einem „Skandal“ um die Impfung von rund 20 mehr oder weniger bekannten Persönlichkeiten der Warschauer Politik-, Medien- und Kulturszene überschattet.

Zu diesen Fällen von Erstimpfungen, die für das Gesundheitssystem kaum relevant sind, gehören der frühere Premierminister und derzeitige Europaabgeordnete Leszek Miller (SLD), die oppositionelle Schauspielerin Krystyna Janda und zwei Direktoren von TVN, einem privaten Fernsehsender, der Kritik an der Politik übt PiS, die regierende Partei „Recht und Gerechtigkeit“.

Das Angebot zur Impfung erhielten sie vom Direktor des Warschauer Universitätsklinikums, während das medizinische Personal dieser Einrichtung noch auf seine eigenen Impfungen warten soll. Die regierungsnahen Medien ließen sich die Gelegenheit natürlich nicht entgehen, einen Skandal um die inhärenten Privilegien der Warschauer Szene zu schüren – und in einer ebenso automatischen Reaktion verteidigte das liberale Lager die Impfempfänger.

Die gesellschaftliche Wahrnehmung dieses relativ unbedeutenden Ereignisses wurde vielleicht am besten von dem Schriftsteller Szczepan Twardoch zusammengefasst, der in Deutschland durch seinen Roman berühmt wurde Der Boxer.

Er könne das Verhalten der Geimpften durchaus nachvollziehen, sagte er, schließlich gehe es um Leben und Tod. Was er jedoch verabscheuenswert findet, ist die Verteidigung dieses Verhaltens durch die Medien- und Kulturelite:

„Es basiert auf der Überzeugung, dass es Menschen gibt, deren Existenz wichtiger und wertvoller ist als die anderer, und natürlich sind das Menschen ihrer Klasse, die den gleichen Lebensstil und den gleichen sozialen Hintergrund haben.“

Damit dürfte der in letzter Zeit immer weniger glaubwürdig gewordene Underdog-Populismus der PiS-Partei in den vergangenen Tagen selbst einen kräftigen Schlag in den Arm bekommen haben.

Ernst Hillebrand ist Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Warschau. Zuvor leitete er die Abteilung für internationale politische Analyse der Stiftung, die Abteilung für Mittel- und Osteuropa sowie führende FES-Büros in Paris, London und Rom. 

Dieser Artikel stammt aus Internationale Politik und Gesellschaft.

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